Raketeneinschlag in Polen – Hört auf, Russlanddeutsche zur Positionierung zu zwingen!

von | 30.11.2022 | Rassismus

Rakete im Himmel | Bild: unsplash

Gestern schlug eine Rakete in Polen ein und tötete dabei zwei Menschen. Es ist tragisch, es ist traurig und einfach absolut unnötig, dass diese zwei Menschen sterben mussten. Darüber sollte eigentlich Konsens herrschen. Allerdings scheint es so, dass wir Russland-Deutschen oder generell wir Migrant*innen, die selbst oder deren Eltern aus der ehemaligen Sowjet-Union stammen, uns nochmal ganz öffentlich auf der digitalen Bühne aka Instagram distanzieren müssen. So zum Beispiel beim Koch-Account „russisch-raclettte“ gesehen, die folgende Nachricht erhielt: „Ich weiß, du bist toll. Aber mit deinem Namen solltest du ein bisschen was zur Eskalation sagen“. 

Ich kann gar nicht ausdrücken, wie unfassbar fassungslos ich über solche Aufforderungen im digitalen und auch analogen Raum bin! Zum einen ist es gerade brandgefährlich als Laie irgendwelche Vermutungen als Tatsachen darzustellen. Denn zu dem Moment, in dem ich diesen Text schreibe, ist noch nicht vollends geklärt, wie die Rakete in Polen gelandet ist. Und wenn die Nato keine Vermutungen vor abschließenden Tatsachen aufstellen will, dann sollten das irgendwelche Menschen im Internet auch nicht tun müssen.

Gleichzeitig finde ich es schon beinahe  lächerlich, die Position einer Person an ihrem Instagram-Auftritt festzumachen. Alles, was wir dort sehen, ist ein so winzig kleiner und dazu auch noch kuratierter Ausschnitt eines Lebens. Wir haben keine Ahnung, womit diese Person sich außerhalb der Kacheln, Stories und Reels sonst noch so in ihrem Leben rumschlagen muss. Welche Diskussionen sie vielleicht mit ihrer Familie geführt hat, welche Hilfen sie angeboten hat oder vielleicht sogar wie betroffen sie selbst ist.

Denn es gibt nicht den Russlanddeutschen und selbst der Begriff ist absolut irreführend. Meine Eltern und ich haben zum Beispiel nie in Russland gelebt. Wir kommen aus Kasachstan, wie viele andere sogenannte Russland-Deutsche auch. Und auch diejenigen, die geografisch aus Russland kommen, sind nicht dort aufgewachsen, sondern in der Sowjetunion – und ja das ist ein Unterschied! 

Hinzu kommt, dass unsere Identitäten und Herkünfte einfach nicht glasklar sind, wie manche meinen. Durch den Vielvölker- und multiethnischen Staat haben sich eben multiethnische Familien gebildet. Ich habe Wolga-deutsche, russische und ukrainische Wurzeln, bin in Kasachstan geboren und in Deutschland aufgewachsen. Euch nicht-Betroffenen jedesmal meine Herkunft aufzudröseln, während ihr mich mit Vorurteilen zu all diesen Herkünften überschüttet, ist wahnsinnig anstrengend.

Statt uns, also Menschen die auch nur einen kleinsten ethnischen oder religiösen Bezug zu den möglichen Verursacher*innen eines Anschlag haben, zur Positionierung zu drängen, sollten ihre Kraft woanders reinstecken. Helft doch lieber Geflüchteten, macht ein Ehrenamt oder mal eine ganz wilde Idee: Setzt euch mit der eigenen familiären Geschichte auseinander und welche Gewalt von eben dieser für andere ausging. Denn was ihr von uns verlangt, eine differenzierte Auseinandersetzung mit unserer Herkunft, lässt bei Deutschen noch ganz schön zu wünschen übrig!

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