Die Anti-Rassismus Brille: Wie ich Rassismus in der Virtual-Reality erlebte
„Was glotzt du so, scheiß Ausländer!,“ schreit mir jemand ins Gesicht, während ich auf den Bus warte. Im nächsten Moment schlägt er mir mit der Faust ins Gesicht und sagt: „Deutschland den Deutschen. Hast du das verstanden?!“. Er geht weiter und ich bleibe sitzen, während eine junge Frau die Szene ängstlich beobachtet, aber nicht einschreitet.
Diese Erfahrung beruht auf einer wahren Begebenheit, doch ich habe sie nicht selbst erlebt, sondern über die Anti-Rassismus-Brille im Essener VielRespektZentrum beobachtet. Es ist eine Virtual-Reality-Brille und ich habe das Gefühl, die betroffene Person zu sein. Genau darin besteht auch das Ziel dieser Brille.
Im Begleitbuch zum Projekt schreibt der Initiator Ali Can: „Um Deutschland zu einem sicheren Ort für alle zu machen und rassistische Gewalttaten jeglicher Art, körperlich oder verbal, zu bekämpfen, müssen wir zuerst die Sphäre des Alltagsrassismus sichtbar machen.“
Das Begleitbuch zum Projekt liefert außerdem noch einordnende Informationen zur Rassismus-Erfahrung an der Bushaltestelle: „Im Jahr 2020 wurden 1.300 rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten gemeldet, die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher.“ Dieser Kontext ist ungemein wichtig, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, dass es sich bei der Szene an der Haltestelle, um einen Einzelfall handeln könnte.
Die Anti-Rassismus-Brille zeigt den Zuschauer*innen weitere rassistische Erfahrungen, wie das diskriminierende Bewerbungsgespräch einer PoC. Der Personalchef traut dem Bewerber aufgrund der zugeschriebenen Herkunft eine sehr gute Note in Sport zu, was eindeutig auf positiven Rassismus zurückzuführen ist. Auf der anderen Seite werden die guten bis sehr guten Noten des Bewerbers in Politik, Physik oder Wirtschaft überraschend zur Kenntnis genommen. Daraufhin folgt eine eindeutig rassistische Aussage des Personalchefs: „Sie bewerben sich hier auf eine Stelle mit viel Verantwortung. Rein optisch würden Sie eher zum Servicepersonal passen.“
Solche Situationen sind Alltag in Deutschland. Die Stärke der Anti-Rassismus-Brille ist, solche Situationen sichtbar zu machen. Dies gelingt vor allem durch die Visualisierung. Es macht eben einen Unterschied, eine abstrakte Rassismus-Definition zu lesen oder eine konkrete Rassismus-Erfahrung zu beobachten. Vor allem nicht-Betroffene von Rassismus erhalten dadurch die Möglichkeit, sich besser in die Perspektive von Betroffenen hineinzuversetzen und sich bestenfalls gegen Rassismus zu engagieren.
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