Max Czollek: „Die Biologie hat mehr für die Abdankung der Nazis getan, als die deutschen Gerichte.“

von | 19.02.2023 | Rassismus

Max Czollek und Aladin El-Mafaalani sitzen sich im Dortmunder Dietrich-Keuning-Haus am 9. Februar gegenüber. Beide versuchen die Frage nach dem Warum zu verstehen.
El-Mafaalani fragte in seinem zuletzt erschienen Buch ganz explizit: „Wozu Rassismus?“ Sein Gegenüber, Max Czollek, erklärt in seiner aktuellen Publikation die Funktionsweise von Erinnerungskultur, ohne es explizit im Titel zu erwähnen: Versöhnungstheater. Klingt nach einem Fall für die Eheberatung. Doch dahinter verbirgt sich eine Abrechnung mit der deutschen Erinnerungskultur für die Verbrechen der NS-Zeit.

Czollek sieht die weltweit bewunderten Gesten der deutschen Selbstvergewisserung vom Warschauer Kniefall bis zum Holocaust-Mahnmal sowie all die Reden und Stolpersteine. Czollek zweifelt den guten Willen bei der Erinnerungskultur nicht an, aber die Absicht ist nicht entscheidend, sondern die Wirkung des Handelns.

Diese Differenzierung nimmt El-Mafaalani in seinem Buch „Wozu Rassismus“ ebenfalls vor: „„Wer gezielt rassistisch handelt… kann als Rassist:in bezeichnet werden. Ohne Absicht… ist man kein:e Rassist:in, hat aber dennoch rassistisch gehandelt.“

Im Versöhnungstheater klingt dies wie folgt: „Statt ernsthafter Ausdruck der eigenen Absichten dienten die großen Gesten der Erinnerungskultur als eine Reihe von Ersatzhandlungen, die es erlaubten, eine deutsche Identität nach 1945 von der Vergangenheit zu entlasten, ohne zugleich den Preis zu zahlen, den man für die Herstellung von Gerechtigkeit hätte zahlen müssen. Das Kernstück einer Wiedergutwerdung ohne Wiedergutmachung.“

Als Beispiel nennt Czollek die Strafverfolgung der Nazis nach 1945. „In dem Moment, indem die Strafverfolgung auf die deutsche Justiz übergeht, findet keine Strafverfolgung mehr statt“, so der Autor und sagt weiter: „Die Biologie hat mehr für die Abdankung der Nazis getan, als die deutschen Gerichte.“ Applaus im Dietrich-Keuning-Haus. Den Worten der Erinnerungskultur sind also nicht ausreichend Taten gefolgt. Czollek geht noch einen Schritt weiter.

Die Erinnerungskultur werde instrumentalisiert. Die Inszenierung erzeuge ein neues deutsches Selbstbewusstsein. Das zeigte sich bei der Fußballweltmeisterschaft 2006, als die Deutschlandfahnen in den öffentlichen Raum zurückkehrten oder bei der Erweiterung des Innenministeriums zum Heimatministerium 2017. Und auch politische Schlagworte wie das von der ‚Zeitenwende‘, oder des postulierten Endes von knapp 80 Jahren außenpolitischer Zurückhaltung sind Teil dieses neuen Kapitels.

Diese Entwicklung problematisiert Czollek, denn Rassismus ist nach wie vor ein akutes Problem. Rassismus sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Insofern müsse die Erinnerungskultur ehrlicher geführt und der pluralen Gesellschaft von heute gerecht werden, bspw. indem die Verfolgung homosexueller oder behinderter Menschen während der NS-Zeit stärker im Fokus steht.

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