30 Jahre Zerfall der Soviet Union und ich wusste es nicht, obwohl ich aus der Soviet Union komme

von | 22.09.2021 | Rassismus

Bild: Hammer und Sichel auf einer Mauer | Quelle: unsplash

In diesem Jahr jährt sich am 26. Dezember der Zerfall der Soviet Union zum 30. mal. Das weiß ich nicht aus dem Kopf, sondern bin durch ein Video der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) darauf aufmerksam geworden, obwohl ich einen sogenannten russischen Migrationshintergrund habe. Die bpb beschäftigt sich aufgrund der runden Zahl in Erklärvideos mit den Entwicklungen der Wendejahre und deren Einfluss auf die ehemaligen Staaten der Soviet Union (1). 

Meine eigene Unwissenheit hat mich ins grübeln gebracht,denn wirklich auseinandergesetzt habe ich mich mit meiner Herkunft und der dazugehörigen Geschichte lange nicht. Während mir von Standarddeutschen zeitlebens signalisiert wurde, dass ich Russin bin, war mir dieser Umstand nicht so klar, denn zu Hause hieß es „Wir sind deutsche“. Komplett war meine Verwirrung, wenn zur Sprache kam, dass ich in Kasachstan geboren wurde.

In der Schule gab es nicht wirklich viel Material, dass mir dabei hätte helfen können, den Knoten in meinem Kopf zu lösen. Erstaunlicherweise war es die Schule, die ich meiner Familiengeschichte näher brachte. 

In der elften Klasse sollten wir eine Probefacharbeit zu unseren Namen schreiben. Da ich online nichts brauchbares gefunden habe, musste meine Familie nun doch endlich auspacken. Und so erfuhr ich zum ersten Mal, wie deutsche Siedler*innen unter Katharina der Großen nach Russland kamen, wie sie unter Stalin massenhaft deportiert und in Arbeitslager gezwungen wurden, wie hart die Ausgrenzung in der Soviet Union war, wie groß die Hoffnung bei der Ausreise nach Deutschland und wie tief der Fall danach war. 

Danach ruhte das Thema, kam in meiner journalistischen Arbeit immer mal wieder auf, aber in die Tiefe ging ich erst mit dem Beginn meiner Mutterschaft. Schließlich musste ich doch wissen, wer ich bin und wo ich herkomme, wie sollte ich es denn sonst an mein Kind weitergeben. 

Zeitgleich wurde das Thema in den sozialen Medien immer präsenter. Der Rassismus den wir erfuhren wurde endlich als dieser benannt und die daraus entstandene Scham konnte aufgearbeitet werden. Und so kam es, dass ich auch endlich eine für mich zufriedenstellende Selbstbeschreibung fand, die meine Identität als Deutsche, als Russin, als Nachkömmling von Soviet Bürgern zusammenfasste: Post Soviet.

 

(1) https://www.youtube.com/watch?v=l7SYM0maVGY

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